Liebe Verschwörungstheoretiker

Die einzig glaubwürdige Verschwörungstheorie ist die Verschwörungstheorie von den Verschwörungstheorien! - habe ich mal in mein Poesiealbum geschrieben; oder:

Das Interessante an einer Verschwörungstheorie ist, dass die einzig glaubwürdige Verschwörungstheorie die Theorie von den Verschwörungen ist, denn es gibt keine Verschwörungen; ihre Wahrheit liegt nicht in nebulösen Annahmen undurchschaubaren Handelns im Verborgenen agierender Geheimgesellschaften, sondern in der Natur der Sache selbst: der Macht! Einer Macht die uns mit geradezu plakativer Offensichtlichkeit ihr Handeln präsentiert! Wozu bedarf es da noch einer Verschwörung? Ja im Gegenteil erhält die Glaubwürdigkeit des Offenbaren, durch eine Verschwörungstheorie erst seine Unglaubwürdigkeit. Verschwörungstheoretiker sind also maßgeblich erst für das Unglaubwürdig-Machen machtstrebenden Handelns verantwortlich, dass dadurch ja nicht weniger glaubwürdig ist, nur eben als einer, einer kausalen Gesetzmäßigkeiten unterliegenden Machthandlung nicht mehr wahrgenommen werden kann; gleichfalls spielt der Verschwörungstheoretiker der Macht somit zu, ja legitimiert sie miteins.

Es bedarf nämlich überhaupt keiner – ich wiederhole: keiner - Verschwörungstheorien, weil Ursache und Wirkung offensichtlich sind; man muss nur in der Lage sein, sie zu lesen. Deswegen orakeln Verschwörungstheoretiker hinter dem Offensichtlichen das Vermutete und machen sich selbst dadurch im selben Augenblick, wie oben dargestellt, vollkommen unglaubwürdig.

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Der Grundgedanke, oder die ungefähre Vorstellung von Gesellschaft ist die friedliche Interaktion zweier oder mehrerer Individuen; Gesellschaft jedoch ist das genaue Gegenteil, Gesellschaft ist nicht mehr als das Zusammentreffen mindestens zweier Individuen mit einem Minimum an Optionen und einem Maximum an Konfliktpotential. Der Kulturmensch glaubt den Naturmenschen überwunden, der Naturmensch jedoch, der der Mensch im eigentlichen Sinne ist, erhält nur durch Regeln und Gesetze so etwas wie einen zivilisatorischen Halt, eine zivilisatorische Decke, den zivilisatorischen Lack - wie schnell lässt er in Grenzsituationen seine Maske fallen? Wie ist es dann um Zivilisation bestellt?

Oder wie ist es möglich, dass eine kleine Kaste von Regierenden, Klerikern, Industriellen, einer selbsternannten und von den Bürgern legitimierte Elite, so offen und transparent, geradezu durchschaubar agiert? Sodass man hinter dem Offensichtlichen überhaupt keine Verschwörung vermuten muss – die Natur des Gegenstandes Selbst, das Regieren und Sich regieren lassen, das Verwalten und Sich verwalten lassen, die im Kern devote Grundhaltung des Untergebenen (hier bereits in der Vokabel enthalten – sich untergeben; kleiner sein als, niedriger, unter und geben), die Schicksalsergebenheit, die Subalternität sind der Dreh- und Angelpunkt einer jeden Verschwörungstheorie, die ebenso wenig Verschwörung wie Theorie ist. In Sätzen wie „Man lässt uns im Glauben... man will uns Glauben machen“ wird bereits die Passivhaltung offenbar und manifestiert gleichsam seinen Phlegmatismus - „Die Großkopferten moched doch alleweil was die wuilln!“ schallt es laut aus allen Löchern; „weil ihr sie gewähren lasst!“, rief ich ihnen neulich erst entgegen.

Und genau deswegen ist ein autonomer Hausbesetzer ebenso systemimmanent, wie ein Banker oder ein meinungsgeBILDeter Fernfahrer, ebenso wie der bildungsgebürgerte Akademiker als Repräsentant einer sogenannten Mittelschicht. Da nützt es auch nichts, sich auf seine Konditionierung zu berufen, weil sich hierbei die Opferrolle nochmals potenziert; denn: Sapere aude; „Habe den Mut“, so die prominente Interpretation Immanuel Kants, „dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“!

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